Premierengeflüster #11
Astrid Steiner lebt in England und gestaltet Videoprojektionen für die Bühne. Was 2003 mit Visuals in Wiener Technoclubs begann, setzt sich heute auf internationalen Bühnen fort. Sie hat in der Werbe- und Fernseharbeit als Video Editor an zahlreichen preisgekrönten Produktionen mitgewirkt, wie am Opening Film des Eurovision Song Contests, der von mehr als 200 Millionen Zuschauern weltweit verfolgt wurde und hat für Brands und TV-Sender wie Sotheby’s, die Olympischen Spiele in London 2012 und Red Bull TV gearbeitet.
Die bewegten Bilder zur Oper Strandrecht kommen von ihr. In der Oper geht es um eine englische Dorfgemeinschaft, die sich durch ihre prekären Lebensverhältnisse gezwungen sieht, diese selbst aufzubessern: In stürmischen Nächten löschen sie das Feuer des Leuchtturms, um herannahende Schiffe zum Stranden zu bringen. Dabei bleibt es nicht beim Plündern. In Ethel Smyths Strandrecht geht es um widersprüchliche Moralauffassungen, Gruppenzwang, Angst und Liebe. Damit hat sich Astrid Steiner in ihrer Arbeit – auch an der englischen Küste – auseinandergesetzt und erzählt im Interview von Drehtagen, die durch Mark und Bein gingen.
Auch wenn das bewegte Bild seit Jahren unseren Alltag bestimmt, ist deine Arbeit für einige Menschen aber oft nicht konkret vorstellbar. Deshalb lass‘ uns darüber sprechen, was du tust. Du gestaltest Videoprojektionen für die Bühne. Wie funktioniert deine Arbeit?
Das Spannende an meiner Arbeit ist, dass sie schon früh im Prozess beginnt, oftmals mit den ersten konzeptionellen Überlegungen zur Inszenierung. Gemeinsam mit der Regie wird analysiert, an welchen Stellen Videoprojektionen sinnvoll die Dramaturgie unterstützen oder die Bühnenrealität erweitern können. Daniela Kerck, die bei Strandrecht Regie führt, setzt bewusst auf eine kraftvolle Bildsprache. Durch unsere wiederholte Zusammenarbeit haben wir ein eingespieltes Verständnis und eine gemeinsame künstlerische Sprache entwickelt.
Wie sah die Zusammenarbeit konkret bei Strandrecht aus?
Meine Arbeit beginnt lange vor den Proben, da das Videomaterial bereits in ersten Versionen zu Probenstart verfügbar sein muss. Während der Probenphase erfolgt dann ein intensives Feintuning: Die Timings werden präzise auf die Musik abgestimmt, und die Projektionen werden optimal in das Bühnenbild integriert. Diese Detailarbeit ist entscheidend, um das visuelle Konzept nahtlos in die Inszenierung einzubetten.
Wie tief musst du selbst im Stoff einer Produktion stecken?
Das Schöne an der Arbeit für eine Oper ist die intensive Auseinandersetzung mit der Materie. Bei Strandrecht hat mich die Biografie der Komponistin Ethel Smyth tief beeindruckt. Sie war eine bemerkenswerte Persönlichkeit, eine Pionierin in einer männerdominierten Welt, die sich auch politisch für Frauenrechte einsetzte. Diese Energie und Leidenschaft spiegeln sich sowohl in ihrer Musik als auch in der Inszenierung von Daniela Kerck wider.
Also hast du dich zum einen von der Biografie inspirieren lassen …
Ja, aber auch inhaltlich greift die Oper zahlreiche faszinierende Themen auf – von religiöser Doppelmoral über das historische Schiffswrecking an der Küste Cornwalls, das einst dem Überleben der Bevölkerung diente, bis hin zu existenziellen Fragen: Wofür wären wir bereit, unser Leben zu opfern? Es ist sowohl ein inhaltlich spannendes Stück wie auch musikalisch gewaltig mit beeindruckenden Chorpartien und subtilen Melodien.
Das heißt, du setzt dich mit der Materie auseinander – und dann? Produzierst du Bilder, die auf einzelne Szenen abgestimmt werden oder untermalst du Musik, Kostüme und Szenerie?
Die Musik kommt immer zuerst. Sie bringt die emotionale Farbpalette und gibt die Stimmung vor. Danach inspiriert mich das Libretto, da es die Handlung und die Szenen vorgibt. Bei der Oper ist es besonders spannend, weil die Musik die Handlung intensiviert und eine poetische Ebene eröffnet, die visuell in den Videos aufgenommen werden kann. Kostüme, Bühnenbild, Videos – all das erschafft zusammen eine Realität auf der Bühne. Damit das Publikum vollständig in diese Welt eintauchen kann, müssen alle Elemente nahtlos ineinandergreifen. Die übergeordnete Vision der Regie ist dabei entscheidend.
Und wie frei bist du am Ende in deiner Arbeit? Entscheidest du selbst, was du filmst?
Die Projektionen müssen sich stets in das Gesamtkonzept der Inszenierung einfügen. In diesem Rahmen bin ich jedoch sehr frei, insbesondere wenn eine enge Zusammenarbeit und ein Vertrauensverhältnis zur Regie besteht.
Ich frage mich, was es für dich zu beachten gilt? Dürfen die Videos zum Beispiel nicht ablenken oder sollen sie das vielleicht sogar?
Ich bin da sehr kritisch, weil ich selbst empfindlich auf visuelle Ablenkung reagiere. Die Balance ist entscheidend. Manchmal kann oder soll das Video dominant sein, etwa um die Dramatik zu erhöhen. Aber genauso wichtig ist es, dass sich die Bilder in anderen Szenen wieder zurücknehmen und Raum für die Musik und die darstellerische Leistung lassen. Es geht stets um ein bewusstes Zusammenspiel aller Elemente und weniger ist dabei oft mehr.
Gesang, Tanz, Bühne, Licht – all das gehört zu einer Inszenierung. Wo ordnet sich deine Videokunst ein?
Das Video hat eine besondere Funktion, insbesondere bei unserer Produktion Strandrecht. Sie erweitert den Bühnenraum und schafft gleichzeitig eine zusätzliche emotionale Reflexionsebene. Die Projektionen lassen die englische Küstenlandschaft lebendig werden und spiegeln die Naturgewalten wider, die in der Oper eine zentrale Rolle spielen. Wie Kostüme, Bühne und Licht ist das Video ein Teil des großen Ganzen und ordnet sich der Musik und Inszenierung unter.
Du erwähnst die englische Küstenlandschaft, an der das Stück spielt. Was hast du für Strandrecht gefilmt?
Ich habe überwiegend an der britischen Küste gefilmt, was sich durch meinen Wohnsitz in England perfekt ergeben hat. Diese Aufnahmen vermitteln die raue Schönheit und die unberechenbare Kraft der Natur.
Rau ist ein gutes Stichwort. Strandrecht ist eine düstere Oper. Bühne und Kostüme wirken dunkel, zurückhaltend, bedrohlich. Was machen deine Bilder?
Die Videos fangen die Dualität dieser Welt ein: die erschreckende Gewalt und zugleich die Schönheit der Küstenlandschaft. Bei einem Drehtag erlebte ich einen Sturm, der so heftig war, dass ich fast von den Klippen geweht wurde. Diese Erfahrung fuhr mir durch Mark und Bein und ließ mich spüren, wie gewaltig und unberechenbar das Leben an der Küste und mit dem Meer einst gewesen sein musste. Ich konnte auch besser verstehen, warum Menschen diesen Naturgewalten eine religiöse Bedeutung zuschreiben würden.
Das Interview führte Claudia Kottisch.
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